Die Schere zwischen Arm und Reich wird immer größer - so zumindest hält sich die Meinung. Schuld daran sei auch die Niedrigzinspolitik der Europäischen Zentralbank. Eine Studie des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft Köln (IW) hält nun dagegen.
Die anhaltend niedrigen Zinsen führen laut IW-Studie tatsächlich zu einer Umverteilung – allerdings nicht zwischen Arm und Reich, sondern zwischen Verschuldeten und Sparern. Demnach erhalten die Wohlhabenden für ihr Vermögen kaum noch Zinsen, die Armen hingegen zahlen für ihre Schulden weniger. Auf die Generationen umgemünzt bedeutet das: Die Älteren mit tendenziell mehr Erspartem bekommen weniger, die Jüngeren können sich hingegen günstig über eine Hypothek ihre eigene Immobilie finanzieren.
"Die Ungleichheit von Vermögen in Deutschland hat durch die aktuell niedrigen Zinsen und steigenden Aktienkurse nicht zugenommen", sagt IW-Direktor Michael Hüther. Die niedrigen Zinsen vergrößern nach dieser Lesart also nicht die Vermögensungleichheit, sie begünstige "eher" einen Rückgang derselben.
In Zahlen gesprochen: Im vergangenen Jahr mussten Kreditnehmer im Schnitt 3,9 Prozent Zinsen zahlen, 2008 waren es noch 5,3 Prozent. Im selben Zeitraum sind die Sparzinsen von durchschnittlich 2,8 Prozent auf 0,4 Prozent gesunken. Für einen Kredit über 10.000 Euro musste ein Verbraucher im vergangenen Jahr also 140 Euro weniger Zahlen als 2008. Ein Sparer wiederum bekam für seine angelegten 10.000 Euro 240 Euro weniger.
Verschuldete Arme profitieren
Das IW unterscheidet in seiner Studie drei gesellschaftliche Gruppen. Die zehn Prozent mit den geringsten Nettovermögen sind dabei oft überschuldet, ihre Kredite übersteigen ihre Vermögenswerte um mehr als die Hälfte. Diese Gruppe profitiert folglich von den niedrigeren Zinsen. Für die Armen, die zwar schuldenfrei sind, aber auch wenig Vermögen haben, sind die niedrigen Zinsen hingegen ein Nachteil.
Die zehn Prozent mit den größten Vermögen sind laut IW-Studie zwar nur zu sechs Prozent ihres Bruttovermögens verschuldet. Gleichzeitig haben sie rund 14 Prozent ihres Vermögens zinsbringend angelegt. Das zusammengenommen ergibt sich für diese Gruppe also ein deutliches Minus bei den Zinserträgen.
Die Rolle von Aktien und Immobilien wertet das IW dabei als relativ gering. Demnach legen weniger als drei Prozent der Reichen ihr Geld in Aktien an. Bei den Immobilien hinge die Frage nach Gewinnern und Verlieren weniger vom Besitz selbst ab, sondern davon, wie viel des Kaufpreises man über Kredite finanzieren muss.
Doch auch die niedrigen Zinsen werden die Vermögensungleichheit sicherlich nicht aus der Welt schaffen "Der einzige echte Profiteur in Deutschland ist der Staat, der deutlich weniger Zinsen zahlen muss als früher", sagt IW-Direktor Hüther.
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